Zeugnisse, Schule und Vertrauen

30/7/2020

Vor ab schon mal eine kleine Warnung, der heutige Text ist sehr lang und persönlich und ich habe ein wenig gehadert ihn zu veröffentlich. Aber es musste raus, weil mich der Umgang mit diesem Thema oft wütend macht und auch traurig und ich auch glaube, dass es vielen von euch so geht!

Gestern gab es Zeugnisse. Bei uns daheim war das lange kein so schöner Tag. Während bei dem einem Kind, das Zeugnis immer super war, sah es bei seinen Brüdern nicht so rosig aus.

Ich muss ein bisschen ausholen. Die Grundschule lief bei allen drei Jungs mehr als gut und ohne viel Zutun von uns Eltern kamen die Großen mit 1er-Schnitten auf eigenen Wunsch aufs Gymnasium. Der Karriere als Rechtsanwälte und Ärzte stand also nichts im Wege. Na gut, natürlich wussten wir, sie werden mit dem wenigen Arbeitsaufwand keine Musterschüler aber was auf dem Gymnasium folgte war das reinste Desaster, anders kann ich es leider nicht bezeichnen.

Die Arbeitseinstellung wurde immer schlechter und die Noten ebenfalls. Egal wie motivierend wir als Eltern helfen wollten, Nachhilfe zahlten, Gespräche mit den Lehrern führten, nichts half. Wir haben versucht nicht zuviel Druck aufzubauen und den richtigen Ton zu treffen, was immer eine Gratwanderung war. Es gelang uns nicht sie zu motivieren und sie blieben im gleichen Jahr gemeinsam in der 6ten bzw. 8ten sitzen. Auf diesem Gymnasium waren wir eine der wenigen Familien ever denen das geglückt ist. Gibt Schöneres im Leben. Und nach langen Diskussionen gaben die Jungs auf und gingen Mitte der 8ten bzw. nach Beendigung der 6ten auf die Realschule. Der Kleine entschied sich dann trotz megaguter Noten für die Realschule. Nun waren sie also alle auf der Realschule und wir atmeten erst mal auf. Und atmeten durch. Die Noten wurden nicht so viel besser, aber keiner war mehr versetzungsgefährdet und die Jungs waren glücklicher.

Warum ich das heute schreibe? Ich weiß, dass viele Eltern und Kinder enorm unter Druck stehen, ohne Abi ist man heute Nichts. Viele Eltern, die Kinder haben, bei denen es läuft und auch die Gesellschaft im Allgemeinen, lassen es die Eltern und Kinder auch deutlich spüren. Dann kommen dann so nett gemeinte Sätze wie, naja ist doch nicht schlimm, es kann ja auch nicht jeder Abi machen, es muss ja auch noch Handwerker geben. Klar, solange es nicht das eigene Kind ist.

Als vor ein paar Monaten die Pandemie losging, war in der Presse nur was von den armen Abiturienten die Rede, die um ihr gutes Abi bangten. Das machte mich so wütend, es gab auch noch Real-und Hauptschüler die ohne Vorbereitung in die Prüfung mussten und auch hier entscheiden die Noten über eine gute oder schlechte Ausbildungsstelle oder das Weitermachen auf höheren Schulen. Und auch sie haben sich auf eine tolle Abschlussfeier und - fahrt gefreut. Aber egal, nicht so wichtig, machen ja schließlich kein Abi. Ich hätte heulen und schreien können, gleichzeitig !

Jetzt sind wir mal ehrlich und schauen uns in unseren näheren Bekanntenkreis um. Wir haben Menschen, die studiert haben und glücklich oder auch unglücklich mit ihrem Leben sind. Wir haben Menschen, die nicht studiert haben und glücklich oder unglücklich sind.

Und ganz tief drin in unseren Herzen, wissen wir genau, obwohl wir es nicht wahrhaben wollen, das Leben ist nun mal das, was man daraus macht. Ein gutes Zeugnis kann helfen aber es macht aus einem Kind weder einen besseren noch einen glücklicheren Erwachsenen. Aber der Umgang mit dem Leben, mit dem Versagen, mit dem nicht erreichen von Zielen und das Vertrauen, dass man gut genug ist, egal wie das Zeugnis ausfällt, das macht den Unterschied.

Zu wissen, dass man geliebt wird, so wie man ist, dass Fehler passieren, aber eben nicht das Ende der Welt sind, das schafft Mut und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten.

Schule war und ist bei uns immer noch ein Thema aber es war niemals, zu keinem Zeitpunkt, das Hauptthema. Ich habe mich stur geweigert es zum Hauptthema zu machen. Man hat darüber gesprochen ( und auch mal etwas lauter) , hat nach Möglichkeiten gesucht es anders zu machen und damit war dann Ende Gelände! Den Rest des Tages ging es um andere Themen. Meine Hauptthemen waren immer aus meinen Jungs selbstständige Erwachsene zu machen, die Vertrauen in sich und in das Leben haben, die fröhlich sind und mit ihrer Familie Spaß haben, die freundlich sind zu anderen und auch zu sich selbst.

Es war und ist nicht einfach. Vieles ist schiefgelaufen aber auch das war gut so. Es hat uns als Familie toleranter gemacht und stärker. Wir haben alle gelernt, dass uns die Meinung anderer nichts angeht. Egal ob andere unseren Weg nicht gut finden, es besser wissen oder urteilen, es ist uns egal, denn nur wir wissen wie es uns wirklich geht und was uns gut tut. Wir sind entspannt und lieben unser Leben.

Als unsere Jungs sitzengeblieben sind und die Zeugnisse nach Hause gebracht haben, haben beide zu mir gesagt, dass es ihnen ganz arg leid tut, mich so zu enttäuschen. Ich habe so furchtbar geweint, nicht wegen diesen scheiss Zeugnissen, sondern weil sie gedacht haben, sie könnten mich mit Noten enttäuschen und ich habe geweint, weil ich wusste, wie sie sich fühlen. Das erste Mal so richtig das Gefühl von Versagen zu spüren, nicht gut genug zu sein und Angst zu haben, wie es weitergeht. In ihnen ist an diesem Tag etwas zerbrochen und es war jetzt an uns Eltern es wieder ganz zu machen.

Wir haben sie in den Arm genommen, ihnen erklärt, dass ihre Noten nichts mit unserer Liebe zu ihnen zu tun haben, dass wir es schon wieder hinbekommen werden und dass wir, wie jedes Jahr, erst mal fett essen gehen und feiern. Was wir denn feiern sollen, haben sie gefragt? Dass ihr jeden Tag in die Schule gegangen seid, obwohl ihr keine Lust hattet, dass ihr in Verhalten und Mitarbeit (und Sport) eine zwei habt, dass ihr trotz den ganzen Druck in der Schule nett und freundlich zu euren Mitschülern und euren Lehrern seid und dass für uns Eltern jeder Tag, am Ende des Tages, ein Fest ist!

Wir haben vertraut und geholfen und gebangt und gehofft, dass alles gut wird. Der Große hat trotz nicht so guter Noten seine Mittlere Reife gemacht, seine Traumlehrstelle gefunden, ist nach einem Jahr Lehre super glücklich und hat wieder gute Noten. Der Mittlere macht nächstes Jahr seine Mittlere Reife und wenn es weiter so gut läuft , macht er weiter mit der Schule und wenn er will schafft er auch das Abi. Der Kleine hat immer noch super Noten und eine Belobigung . 3 Jungs, eine Familie, und jeder geht anders seinen Weg.

Ich weiß, dass viele in meinem Umkreis gedacht haben oder immer noch denken, ich hätte bei meinen Jungs die berühmte rosa-rote Brille auf. Aber zwischen der rosa-roten Brille und Vertrauen gibt es einen entscheidenden Unterschied. Während die Brille keinen Platz für Reflexion zulässt, geht es beim Vertrauen um die Auseinandersetzung mit der Situation und wie wir mit ihr umgehen. Wir vertrauen darauf, dass wir einen Weg finden, wir hören darauf, wie es unseren Kindern geht und was sie möchten, wir akzeptieren ihre jetzigen Möglichkeiten und Talente und versuchen sie da abzuholen, wo sie gerade sind.

Ich weiß nicht, was aus unseren Jungs wird, ich weiß nicht ob sie beruflich wie privat glücklich werden, ich kann nicht in die Zukunft schauen. Aber ich weiß, dass ich froh bin, dass das Thema Schule unsere Beziehung als Familie nie vergiftet hat. Ich werde meine Jungs nicht mehr lange bei mir haben und das ist gut so. Aber ich kann super gut loslassen, denn wir haben unsere gemeinsame Zeit genutzt und genossen und was sie, mit oder ohne Abi, aus ihren Leben machen, liegt dann ganz alleine in ihren Händen.

Wir können das Leben unserer Kinder nicht komplett regeln, auch wenn wir als Eltern nichts anderes wollen, als ihnen Leid zu ersparen. Wir müssen lernen, dass unsere Träume nicht immer die Träume unserer Kinder sind. Manchmal kann man nur zuschauen wie sie Fehler machen und helfen wenn sie es zulassen. Manches muss man einfach nur aussitzen und geduldig sein.

Habt Vertrauen in eure Kinder und habt Vertrauen in eure Fähigkeiten als Eltern. Ihr macht mit Sicherheit jeden Tag einen guten Job und auch wenn wir als Eltern Fehler machen, wir haben zu jedem Zeitpunkt unser Bestes gegeben und wir konnten es nicht besser. Lasst eure Kinder Abi machen, wenn sie Spaß an der Schule haben und ehrgeizig sind, unterstützt sie und baut sie auf, wenn es nicht so läuft. Feiert , wenn sie die Hauptschule oder die Realschule geschafft haben, feiert gute und schlechte Zeugnisse, man findet immer was Gutes in jeder Situation. Meine Kinder lieben mich obwohl ich (noch) keinen Nobelpreis gewonnen hab und nicht studiert hab. Wir wissen alle warum wir unsere Kinder lieben und ganz ehrlich, bestimmt nicht wegen den Zeugnissen.

Danke fürs Zuhören!

Eure Dani